Brief des Generaloberen zum 8. Dezember 2022

Liebe Oblatenmitbrüder und alle Schwestern und Brüder, die unser Charisma teilen,

unser Gruß gilt heute Maria, die „Gesegnete unter den Frauen“. Zugleich betrachten wir das Wunder der Barmherzigkeit Gottes im Geheimnis ihrer Unbefleckten Empfängnis. Wir freuen uns, dass wir sie als Mutter und Patronin verehren dürfen und bitten sie, als unsere Mutter für uns einzutreten.

In seiner Ansprache vor den Kapitularen des 37. Generalkapitels1 forderte uns Papst Franziskus dazu auf, „Maria als Pilgergefährtin einzuladen, damit sie euch immer auf eurer Pilgerreise begleitet“. Nachdem er an ihre „Pilgerreise“ zum Haus von Elisabeth erinnert hatte, sagte der Papst: „Möge Maria für euch ein Beispiel sein, für euer Leben und eure Sendung“. An diesem Hochfest möchte ich mich wieder mit Maria und unserer ganzen Familie auf den Weg machen, damit wir allmählich zu missionarischen Pilgern werden, die in Gemeinschaft Hoffnung säen, so wie wir uns das auf dem Generalkapitel erträumt haben.

Das vom Papst gewählte Evangelium berichtet von der Begegnung Mariens mit Elisabeth (Lk 1,39-56). Für viele ist dieser Abschnitt des Evangeliums ein inspirierendes Bild für das missionarische Handeln der Kirche. Ich hatte Gelegenheit, am Leben der Kirchen Nordafrikas teilzunehmen und kann so die Fruchtbarkeit der Kirche bezeugen. Wir sind berufen, das uns innewohnende Heilsgeheimnis hinauszutragen, zu verkündigen und zu teilen. Machen wir uns eiligst auf den Weg, im Dienst an den Menschen dem „Anderen“ zu begegnen, so wie es Maria getan hat. Es ist ein Weg, auf dem uns Jesus seine Gegenwart offenbart und uns einlädt, Spuren von Zeichen der Hoffnung in Gemeinschaft in der Welt sichtbar zu machen. Indem wir uns aufmachen, auf die Menschen zugehen und uns in ihren Dienst stellen, entdecken wir unsere eigene Identität. Auf diese Weise wird uns auch die Wahrheit offenbart, die der Geist Gottes in die Herzen der Menschen gesät hat, und die auch uns als Geschenk angeboten wird. Indem wir mit Jesus und den Menschen unterwegs sind, wobei wir die Gemeinschaft immer als Gabe und Aufgabe leben, werden wir zu pilgernden Propheten, die das Lob des Herrn anstimmen und mit ihrem Leben eine neue Welt und eine neue Menschheit verkünden. Diese sind bereits geboren und hoffen darauf, sich in ihrer ganzen Fülle zu entfalten.

Mit allen Mitgliedern unserer gemeinsamen Familie möchte ich einen Dialog darüber in Gang setzen, wie wir den oben erwähnten Abschnitt des Evangeliums für unser Leben und unsere Sendung fruchtbar machen können. In meiner Predigt beim Abschlussgottesdienst des Generalkapitels konnte ich diesen Dialog bereits einleiten. Wie schön wäre es, wenn wir bei unseren Treffen einige Zeit darauf verwenden könnten, die Früchte unserer Überlegungen miteinander zu teilen. Wie frohmachend wäre es, das Echo zu hören, das aus allen Winkeln unseres gemeinsamen Hauses, aus allen unseren Kommunitäten und Gemeinschaften unserer charismatischen Familie kommt. Lasst uns kreativ werden, und legen wir alles, was jeder einzelne von uns entdeckt hat, auf den gemeinsamen Tisch.

In diesen Tagen werden wir die Dokumente des XXXVII. Generalkapitels in Händen halten. Wir wissen, dass die Umsetzung dieser Kapitelsdokumente nicht sogleich erfolgt. Es ist eine Gnade, die es gilt, in uns erst einmal ankommen zu lassen. Wie kann das gelingen? Die Kapitulare haben nachdrücklich erklärt, dass sie die ersten Impulsgeber dieser Anfangsphase sein wollen. Selbstverständlich sind sie die privilegierten Zeugen der Geschehnisse auf dem Kapitel. Habt keine Angst, die Kapitulare zu belästigen, wenn Ihr sie bittet, ihre Erfahrungen mit Euch zu teilen. Hören wir uns ihren Bericht an. Versuchen wir, mit ihnen zu gehen und bitten wir um die Gnade, uns ihre Erfahrungen zu eigen zu machen.

Eine weitgehende Aneignung des Kapiteldokuments wird eintreten – so glaube ich -, wenn jedes einzelne Mitglied unserer charismatischen Familie zu einem Animator der nachkapitularen Phase wird: Animatoren werden wir, wenn wir uns vom Geist herausfordern lassen; Animatoren werden wir, wenn wir nach Wegen suchen, die erarbeiteten Anregungen kreativ in die Praxis umzusetzen. Wir alle sind also aufgefordert, uns auf den Weg zu machen. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg mit den Armen, damit wir uns in unserer Berufung erneuern. Lassen wir unser gemeinsames Haus zu einem lebenswerten Haus werden. Leben wir als Familie den Reichtum unserer Vielfalt, sowohl kulturell als auch in den verschiedenen Berufungen, die unser Charisma verkörpern. Lasst uns als missionarische Pilger der Hoffnung in Gemeinschaft unterwegs sein.

Gestattet mir, in dieser Phase der Aneignung und des Verlebendigens der Kapitelsdokumente noch einmal als Modell anzuführen, was Maria im Geheimnis der „Heimsuchung“ widerfuhr. Der Bote Gottes überbrachte eine Frohe Botschaft, die alle Erwartungen übertraf. Auch wenn Maria nicht alles verstand, überließ sie sich dennoch vertrauensvoll der Vorsehung Gottes. Und als das Wort in ihr Gestalt annahm und ihr Leib sich für die Aufnahme des Herrn bereitete, da machte sie sich eilends auf den Weg und zerstreute so die Sorge um sich selbst. Voller Zuversicht ließ sie den Glauben und die Hoffnung in ihrem Herzen heranreifen in Erinnerung an die Erkenntnis, „dass für Gott nichts unmöglich ist“. Auf diesem Pilgerweg kam Maria in der Ankündigung der Gegenwart des Erlösers in unserer Geschichte einem Sakrament gleich. Indem sie sich in den Dienst der Elisabeth stellte, wurde ihr das Geschenk der Vergewisserung ihrer eigenen Identität zuteil. Später kam noch die überbordende prophetische Freude dazu, aus der heraus sie einen Hymnus auf einen Gott anstimmte, der sowohl heilig als auch barmherzig ist und der seine Schöpfung durch die Armen und Hungrigen, die Einfachen und Demütigen zur Fülle bringt.

Wir wollen Maria bitten, uns zu lehren, die Gnade des letzten Generalkapitels mit ganzem Herzen anzunehmen. Gehen wir mit ihr Hand in Hand – wie Papst Franziskus vorschlägt – und stellen wir uns in den Dienst der Menschen. Leben wir die Freude, Propheten der Gemeinschaft und der Hoffnung zu sein. Lasst uns im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe als charismatische Familie wachsen, die auf ihre Berufung als Missionare der Armen antworten möchte, indem sie sich um das gemeinsame Haus der Schöpfung kümmert. Ich möchte Euch einladen, mich mit Euren Gebeten auf der Pilgerreise zu begleiten, die ich unternehmen werde als Zeichen der Solidarität mit unseren Mitbrüdern in der Ukraine. Mit ihnen umarme ich zugleich alle Mitglieder unserer charismatischen Familie, die in schwierigen Situationen unterwegs sind, die leiden und von jeder Art von Gewalt betroffen sind. Ungerechtigkeiten und rücksichtslose Ambitionen sind die Ursachen dafür.

Lasst uns mit Maria und allen Heiligen unserer Familie und mit denen, die uns auf diesem Pilgerweg vorausgegangen sind, im Dienst an den Verlassensten die Wege beschreiten, in dem wir Hoffnung und Gemeinschaft säen.

Ein frohes Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens.

Euer Pilgerbruder in Christus und Maria Immaculata,

Luis Ignacio Rois Alonso OMI

Generaloberer